6. Die braune Zeit 

 

Berichte über die „braune Zeit“ zwischen 1933 und 1945 aus der reinen Vereinssicht sind fast nicht aufzutreiben. Viele Vereinschroniken und selbst Protokolle schweigen sich aus. Im hervorragend geführten Beschlußbuch des AC Lichtenfels sind lückenlos alle Sitzungen von der Vereinsgründung im Jahr 1921 bis zur Sitzung am 17.12.1931 aufgeführt. Dann folgen ab Seite 65 nur leere Blätter. Auf Seite 69 geht das Beschlußbuch mit der Sitzung vom 5.9.1946 unter Vorstand Spörlein wieder akribisch lückenlos geführt weiter. Die fehlenden Protokolle werden mit dem Chaos und einem Brand kurz vor Kriegsende begründet. In diesem Fall hätten allerdings auch die Niederschriften bis 1931 im gleichen Buch verbrennen müssen.

 1206 Arbeitervereine wurden nach der Machtübernahme von Hitler zwischen dem 3. März und dem 26. September 1933 durch den Erlaß des Reichsinnenministers Frick verboten bzw. umbenannt. Deshalb weichen hin und wieder bei den Ringervereinen die jetzt geläufigen Klubbezeichnungen von den damaligen Gründungsnamen mehr oder weniger geringfügig ab. Die Rechtsnachfolge ist jedoch unbestritten. Als Beispiel möchte ich den Arbeitsportverein Bavaria Augsburg nennen. Der Verein wurde 1933 zwangsweise aufgelöst. Vorstand Xaver Füg gründete im gleichen Jahr Germania Augsburg und mußte 1938 dennoch mit dem SC Augusta-Augsburg fusionieren. Xaver Füg war ein erfolgreicher Sportler der Arbeiterbewegung gewesen und damit war er und sein von ihm geführter Verein von den Nazis nicht geduldet worden.

 Das beträchtliche Grundvermögen des AABD mit einer Bundessportschule, 15 Sporthallen und 160 Sportplätzen wurde vom  Reichsbund für Leibesübungen beschlagnahmt und enteignet. Ein Jahr nach der Machtergreifung wurde in Deutschland erstmalig eine offizielle Freistil-DM durchgeführt. Anläßlich der Deutschen Kampfspiele in Nürnberg schaffte somit der Freistilringkampf seinen endgültigen Durchbruch. Zu verdanken war dies dem Erfolg von Jean  Foeldeak bei der Freistil-EM 1934 in Stockholm (Rang zwei in der Nationenwertung) und Foeldeak wurde im Zuge der Vorbereitungen zu den Olympischen Spielen beauftragt, den Freistil in Deutschland flächendeckend für die Ringer einzuführen.

 Paul Böhmer, am 3.5.1907 im kleinen Dörfchen Niederau bei Lichtenfels geboren, gewann 1927 in Nürnberg sein erstes großes Turnier.  Der oberfränkische Metzgergeselle wechselte 1928 kurzfristig zum ASV 25 Würzburg und ging weiter zum AC Pirmasens, um  dort 1929 auf Anhieb Deutscher Mannschaftsmeister zu werden. Das Wanderblut trieb den Oberfranken 1930 nach Göppingen, um Süddeutscher Mannschaftsmeister zu werden. 1932 kam als nächste Station Bad Reichenhall. Der Metzger erlebte seine größten Erfolge 1935 und 1937 jeweils als Vizeeuropameister im klassischen und freien Stil im Halbschwergewicht..

 

Foto: Paul Böhmer als Aktiver

Bis 1950 stand er für Reichenhall auf der Matte und wurde in Ringerkreisen berühmt als „Wirt vom Königsee“. Seine Endstation war das Traineramt bei Berchtesgaden.  

 

 

Foto: Paul Böhmer als 50jähriger Trainer

 Eine Gewichtsklasse unter Böhmer kämpfte 1935 der Reichenhaller Josef Paar. Auch er holte bei der EM 1935 in Kopenhagen im klassischen Stil Silber. Der Mittelgewichtler stand zusammen mit Böhmer noch 15 Jahre auf der Matte für Reichenhall.

 

Foto: Josef Paar, Bad Reichenhall

 Aus dem Jahr 1936 konnte ich nur wenig Vereinsfotos auftreiben. Stellvertretend will ich ein Bild des 1. AC Lichtenfels bringen.

 

Foto: 1. AC Lichtenfels im Jahr 1936 mit von links: Bramann, B. Metzner, A. Reuther, B. Krapp, Fr. Böhmer, V. Körner und G. Kohmann.

 Bei den Olympischen Spielen in Berlin schlug mit dem 1915 in Fürth geborenen Ludwig Schweikert  wieder ein Bayer zu. Der Olympiazweite im Mittelgewicht wurde Berufssoldat, startete für Berlin und holte ab 1937 noch acht Deutsche Einzeltitel in beiden Stilarten.

  

Foto: Ludwig Schweikert

 Der 1910 in Gera geborene Kurt Hornfischer wechselte mit 22 Jahren zu 04 Maxvorstadt und holte im Schwergewicht 1936 trotz eines kurz zuvor ausgekugelten Ellenbogengelenks ebenso eine Bronzemedaille nach Nürnberg wie sein Vereinskamerad Jakob Brendel im Bantamgewicht. Der Wahlfranke wurde in der international Presse zwar als weltbester Bantamringer tituliert, hatte den Schweden Svensson auch schon nach Punkten besiegt und mußte den Nordländer aufgrund seines Fehlpunktstandes dennoch ins Finale ziehen lassen. In der ersten Runde wurde Brendel durch ein Fehlurteil gegen den Tschechen Hyza aus der Bahn geworfen und um seine zweite Goldmedaille gebracht worden.

 

Foto: Hornfischer und Brendel

 Der Zimmermann Hornfischer drückte in der Brückenstellung 135 kg, warf den Diskus 40 Meter und war ein ausgezeichneter Leicht­athlet und Schwimmer. Zwischen 1933 und 1937 errang der  1,90 m große Athlet  viermal den Titel eines Europameisters im Schwergewicht. Auch aufgrund dieser Verdienste wurde er bereits 1935 Baubeamter bei der Stadt Nürnberg. Mit nur drei Wochen Vorbereitungszeit mußte er 1936 nach Berlin. Seine Luxation am linken Arm war noch nicht ganz verheilt, doch die Olympischen Spiele ließen sich nicht verschieben. Die Presse machte den „Prachtkerl Hornfischer“ dennoch zum Favoriten aber das Schicksal gönnte ihm 1936 „nur“ die Bronzemedaille.

 

Foto: Kurt Hornfischer

 Hornfischer entstammte einem Verein des AABD und hatte sich als Arbeiter-Olympiasieger sportlich empfohlen. Insgesamt 12 Einzeltitel holte er nach Nürnberg. 22 Länderkämpfe trug er für Deutschland aus. Im Krieg überlebte der Hüne sechs Verwundungen. Ausgebombt und ohne Vermögen mußte der ehemalige Panzerjägeroffizier bei Null anfangen. Er wechselte ins Profilager. Am Feierabend und an freien Wochenenden schuf er mit eigenen Händen wieder ein schmuckes Eigenheim für seine Familie. Bei der Stadt Nürnberg erhielt er wieder die alte Anstellung.  Seine Süddeutsche Meisterschaft 1946 und der Mittelfränkische Meister 1948 brachte außer sportlicher Anerkennung finanziell nichts ein. Als „Catcher“  wurde er 1950 prompt Weltmeister. Der städtische Obersekretär mußte jedoch mehrfach wegen seines verwundeten Kreuzbeines auf den Operationstisch.  An diesem nie auskuriertem Kriegsleiden verstarb der Schwergewichtler am 18.1.1958 mit nur 48 Jahren.

 Rang vier belegte der Münchner Sebastian Hering (Jahrgang 1910) bei den Olympischen Spielen in Berlin. Er war 1931 bereits Vizeeuropameister und 1935 Europameister geworden. Hering  gewann seine fünfte Deutsche Meisterschaft im Jahr 1942 und war bis 1948 aktiv. Seine Olympianominierung 1936 war mit Rang  vier abschließend dennoch berechtigt, da er 1935 bei der DM zweimal Zweiter wurde.

  

Foto: Sebastian Hering, TSV 1860 München

  Mit dem 23jährigen Josef Böck von Apollo München gab es  im Federgewicht einen weiteren Münchner  Olympiateilnehmer. Vom SC 04 Maxvorstadt Nürnberg hatte Josef Lehner zwar 1934 die Deutsche Meisterschaft erringen können, doch dies genügte nicht zur Teilnahme in Berlin. Er wurde nur als Ersatzmann nominiert. Eine DM-Vizemeisterschaft des Nürnbergers Lehner 1935, sowie zwei weitere in den Nachkriegsjahren 1950 und 1951 müssen zur Vervollständigung erwähnt werden. Mit 40 Jahren gewann er auch 1951 die Olympia-Ausscheidung für Helsinki, wurde jedoch wegen seines Alters vom Bundestrainer nicht mehr berücksichtigt.

 

Foto: Josef Lehner

 Bis 1984 sollten die drei Medaillen des Jahres 1936 das letzte Olympische Edelmetall für Bayern bleiben. Der Erfolg von Pasquale Passarelli (an gleicher Stelle wie Jakob Brendel 1932, in der gleichen Stilart und ebenfalls im Bantamgewicht) darf sich jedoch nicht der Freistaat auf die Fahne schreiben. Passarelli kam bekanntlich bereits als Welt- und Europameister des Jahres 1981 von der KSG  Ludwigshafen 1982 nach Nürnberg. Er war  der klassischen Schule des Pfälzers Walter Gehring entsprungen und wurde in der kleinen KSG-Trainingshalle im 1. Stockwerk beim „Mayer-Bräu“ in Oggersheim vom Rohdiamanten zum weltbesten Bantamgewichtsringer seiner Zeit geschliffen.